Samstag, 8. November 2014

... auf ins letzte Gefecht?

oder Es soll dem letzten Rest klassenkämpferischer Identität an den Kragen gehen.

von Roberto De Lapuente

Leitsatz auf ad sinistram (Stand Nov. 2014)
Beim Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer geht es mittlerweile um mehr, als nur um höhere Löhne und die Festigung der eigenen Gewerkschaft. Das Schicksal des gewerkschaftlichen Grundgedankens hängt mittlerweile an diesem Streik. Es geht um nicht weniger als um die Vorstellung davon, wie sich Lohnabhängige organisieren und gegen schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen dürfen und wie nicht. Es sind aktuell ja bezeichnenderweise auch nicht die Lohnforderungen, die man der GDL vorwirft, sondern der Umstand, dass sie sich das Recht herausnimmt, selbstbestimmt für ihre Auffassung aufzutreten.

Wenn man den Stimmen aus der Wirtschaft und der Politik so lauscht, dann könnte man glauben, dass man jetzt endgültig bereit ist, dieses »letzte Gefecht« mit einer aufmüpfigen Gewerkschaft anzugehen. Natürlich soll es Gewerkschaften auch weiterhin geben, sagen uns die Streikgegner. Aber sie meinen damit natürlich: »Streikrecht ja, aber unter unseren Prämissen, die das Streikrecht ad absurdum führen.« Gewerkschaften sollen handzahm und harmlos sein. Ergeben und widerstandslos. Keine Opposition, eher schon ein Partner der Regierung, der Konzerne und des herrschenden Austeritätssystems. Es klingt ein wenig so, als flüsterten die Gewerkschaftszersetzer der Deutschen Bahn jetzt ein, dieses »letzte Gefecht« für sie alle auszutragen. Wenn sich die Bahn stur zeige, jeden Streik ignoriere, auf Frau Nahles baue und munter die Lokführer kriminalisiere, dann breche man der »Tyrannei von Arbeitnehmervertretungen« hoffentlich endgültig das Genick.

Das erinnert alles an eine unblutige Version des Miners' Strike von 1984/85. Damals beabsichtigte die britische Regierung Zechen zu schließen und damit ganze Regionen ökonomisch verwaisen zu lassen. Die Bergleute, von jeher gut gewerkschaftlich organisiert, kämpften dagegen an und wurden von Regierung und den Medien als Quertreiber bezeichnet, die eine klammheimliche Freude am Streik und am Stören der öffentlichen Ruhe hätten. Es ging für die Thatcher-Regierung von Anfang an nur zweitrangig darum, die eigenen Pläne durchzusetzen. Erstrangig fokussierte man die Schlacht gegen die Gewerkschaftsbewegung als solche. Ihr das Rückgrat zu brechen, sah die Regierung als ersten Schritt zur sozialen Umgestaltung des Landes an. Wer gegen die Bergarbeiter standhaft blieb, der würde die gesamte Bewegung nachhaltig beeinflussen können und schwächen. Dazu erfand sich die Regierung ein Szenario: Sie dramatisierte sich ein Großbritannien herbei, das quasi in Geiselhaft von allmächtigen Gewerkschaften gehalten würde. Eine maßlose Übertreibung. Die Regierung versprach selbstverständlich Abhilfe, sie würde sich dieses sozialistischen Problems annehmen und wieder Vernunft einkehren lassen. Propaganda und Polizei zerrieben dann nach und nach die Streikmoral. Von Beginn an war klar, dass man den Bergleuten die Schuld für die Auseinandersetzung geben musste.

Owen Jones schreibt, dass »das Schicksal der Arbeiterbewegung [...] an dem Streik« hing. »Von der Niederlage hat sie sich nie erholt.« Befürworter und Gegner des Streiks seien sich bis heute einig, dass »die Gewerkschaften diese Lektion nicht vergessen werden.« Der britische Journalist Simon Heffer merkt an: »Für viele Linke ist der Bergarbeiterstreik weiterhin ein Alptraum. Jede große Arbeiterorganisation weiß jetzt, dass man sich mit der Regierung auf eigene Gefahr anlegt.« Kein Wunder, denn die Regierung hat damals Gesetze erlassen, die es erlaubten, aufmüpfige Gewerkschaften zu enteignen. Noch heute ängstigten sich Gewerkschaften deshalb Streiks anzusetzen.

Gewerkschaftsfunktionäre behaupten bis heute, dass Niedergeschlagenheit und Defätismus das Erbe jenes Ereignisses seien. Wahrscheinlich war es das letzte Gefecht der Arbeiterklasse auf der Insel. Owen: »Am Vorabend von Thatchers Kreuzzug war die Hälfte der Arbeiterschaft gewerkschaftlich organisiert. 1995 war es nur noch ein Drittel.« Fortan galt es in Großbritannien als schmuddelig, mit der »alten Arbeiteridentität« selbstbewusst hausieren zu gehen.

Um diese Zerstörung des gewerkschaftlichen Selbstbewusstseins geht es auch jetzt im Augenblick in der Bundesrepublik. Die Massenorganisationen haben sie bereits erlegt. Es gibt sie zwar noch, aber sie sind domestiziert. Als man die Mär vom Gewerkschaftsstaat in die Welt setzte, zog man sich verdattert zurück und machte seinen Frieden mit einer Wirtschaftspolitik, die den Reichen diente und die Armut forcierte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund gibt sich seit Jahren so staatstragend, dass er nicht mal beim größten Sozialabbau der bundesdeutschen Geschichte aufmuckte. Einige kleine Spartengewerkschaften haben sich ihr Selbstbewusstsein allerdings bewahrt. Und das möchte man nun dringend unterbinden. Dazu wird dieselbe alte Leier bemüht wie zu Zeiten Thatchers. Die, von einer Öffentlichkeit, die von einer Minderheit in Haft gehalten wird. Und man verabschiedet durch die Hintertüre Verbote und enteignet kleine Gewerkschaften, raubt ihnen die rechtlichen Mittel, um für die Interessen ihrer Mitglieder einzustehen. Die Arbeiterbewegung mag zwar schon hinüber sein in diesem Land, aber diese letzten Reflexe des Klassenkampfes, die aus der GDL züngeln, die will man jetzt auch unter Kontrolle bringen. Wenn das mit aller Härte durch die Indoktrinierung der öffentlichen Meinung gelingt, hat man ein schönes Exempel statuiert.

Deshalb ist jedes Mittel recht. Auch die Hetzkampagne gegen die GDL und ihren Vorsitzenden. Die geht nicht mal mehr unter die Gürtellinie, sondern schlägt völlig ungeniert ins Gesicht eines jeden rechtsstaatlich gebildeten Menschen. Aber im Krieg ist ja alles erlaubt, nicht wahr. Einen Mob mit Fotos vom Wohnsitz von Verantwortlichen anzufüttern und ihn zum Telefonterror aufzurufen, ist nicht einfach nur ein journalistischer Fehlgriff. Hier streift man mindestens den Straftatbestand der Volksverhetzung. Kann schon sein, dass einer auf Dutschke schoss, nachdem das Revolverblatt fragte »Wer stoppt den roten Rudi?« Aber der Zweck heiligt mittlerweile wohl alle Mittel.

Doch das sind, wenn man es mal ohne falsche Sensibilität sagt, tatsächlich Nazi-Methoden. Und wie es der Zufall so will, war auch denen damals die Zerschlagung der freien Gewerkschaften wichtiger, als das Ende der Demokratie. Oder anders gesagt: Freie und selbstbewusste Gewerkschaften waren für sie ein Sinnbild intakter demokratischer Gesinnung. Und das widerte sie ja bekanntlich an. Aber das führt an dieser Stelle etwas zu weit.

Nur so viel: Gewerkschaften, die man an die Leine nimmt, sind bestimmt kein Ausdruck von Vernunft, wie man das zuweilen jetzt in der Zeitung lesen kann. Es ist Demokratieabbau der drastischsten Sorte. Denn wer Menschen die Chance nimmt, mit einem Akt der Verweigerung von Arbeitsleistung für ihre Interessen einzustehen, der hält sie gefangen, der macht ihren Arbeitsalltag zu einem Knast, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und nun sage keiner, dass das Gesetz zur Unterordnung kleiner Gewerkschaften ja immer noch den großen Gewerkschaften die Chance erhalte, in einen Streik zu lotsen. Dieses Streikmonopol ist doch tot, eine große arbeitskämpferische Mobilmachung hat es seit Jahren nicht mehr gegeben. Bei denen herrscht bloß noch Eiapopeia und man plappert die positiven Wasserstandsmeldungen der Regierung unkritisch nach und klopft sich auf die Schulter.

Die GDL tritt jetzt nicht mehr nur gegen die Deutsche Bahn (und damit dem Bund) an, sondern auch gegen die Regierung und ihre Gewerkschaftspläne; gegen eine Öffentlichkeit, der man suggeriert, dass Streik etwas Verwerfliches sei, was in ein anderes Jahrhundert gehöre, nicht aber in eine fortschrittliche Zeit. Es geht um so viel mehr. Ja, es geht um alles. Um das Selbstwertgefühl der Arbeitnehmer, um ihre Würde und ihre Selbstbestimmung. Man ahnt, dass es den neoliberalen Gegnern des Streiks nur darum geht, diese Angelegenheit zum letzten Gefecht aufrechter und souveräner Arbeitnehmervertretungen werden zu lassen. Danach soll endlich und endgültig Ruhe sein. Wie einst auf der Insel, als nach dem Miners' Strike nichts mehr nennenswert Gewerkschaftliches kam. Wir sehen dabei zu, wie sie unter dem Applaus anderer Gewerkschaften ihre neue Ordnung fixieren.

Erstveröffentlicht am 7. November auf Roberto de Lapuentes Weblog ad sinistram (Hinweis: alle Rechte beim Autor!)

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