Dienstag, 24. Februar 2015

Frankfurt/M., 28. Februar 2015: Zur Mahnwache gegen Entmietung/Gentrifizierung [F-Wingertstr.]

Wir sind auch Frankfurt - Nous restons - Wir bleiben!
Gentrifizierung heißt das Schlagwort - Gentrifizierung ist in vielen Städten Deutschlands ein großes Problem, welches durch die Marktentwicklungen - so der verharmlosende kapitalistische Neusprech - hervorgerufen wird. Mieter müssen weichen, wenn sich das Preiskarussel am Immobilienmarkt weiter dreht und viele ihre Miete nicht mehr zahlen können. Die frankfurter AG FELIA {Arbeitsgemeinschaft Frankfurter Erwerbslose in Aktion} drückt es treffend  in einer Solidaritätserklärung aus: »Immobilienspekulation darf Mietende nicht aus ihrem soziokulturellen Umfeld verdrängen«. Ghettoisierung irgendwo, ortsfremd...

Adressiert ist die Solidaritätserklärung an die Bewohner der Wingertstr. 21 im frankfurter Ostend. Die Entmietungszustände dort werden immer unhaltbarer. Die Mieter wehren sich. Wir sind zur Solidarität aufgefordert:

Mahnwache
Samstag 28. Februar 2015, 12:00 Uhr
Wingertstraße 21-23 in 60316 Frankfurt/M

(Haltestellen Höhenstr.: U-Bahnlinie U4 oder Buslinie 32 // google.maps.Wegskizze - Google braucht etwas Zeit zum Eintragen des Fußwegs)

Mahnwachen-Aufrufstext von Wingertstraße 21 e.V. - Hausgemeinschaft mit Zukunft:
Seit 2013 bemüht sich die Hausgemeinschaft in der Wingertstraße 21 das gemeinsame Zuhause zu erhalten, damit auch in Zukunft bezahlbares Wohnen mitten in Frankfurt möglich ist!
Wir lassen uns nicht verdrängen!

Wir fordern den Magistrat der Stadt Frankfurt und die
Stadtverordnetenversammlung auf, den Wingertstraße 21.e.V. zu
unterstützen und ein deutliches Zeichen gegen die fortschreitende
Mietervertreibung in Frankfurt zu setzen!

Vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse laden wir
gemeinsam mit MdB Ulli Nissen ein zu einer Mahnwache.


Kontakt: wingertstr.21hausgemeinschaft@yahoo.de

In der Frankfurter Rundschau (fr) sind zur Situation der von Immobilienspekulation betroffenen Häuser in der Wingertstr. und Martin-Luther-Str. mehrere online-Artikel erschienen, welche die fortschreitende Entmietung deutlich beschreiben:
In Bezug zur Nachbarschaftsinitiative BO (Martin-Luther-Str.) erschien in der FGZ der Artikel "Frankfurter Nachbarschaftsinitiative NBO – ein Nachtrag" (Trickster, 2014-02-10).

Die Leidenskette in der Wingertstr. 21 ist lang: unbenutzbarer Fahrradkeller,  gekündigter Kabelanschluss für's Fernsehen, Treppenreinigung und Gärtner gekündigt,  zwei Bäume, ein Fliederbusch und ein Hibiskusstrauch niedergemacht.  Aktuell heißt es in der fr-online-Ausgabe vom 23. Febr. 2015:
Die Bauaufsicht hat vergangenen Mittwoch einen Baustopp verhängt. Seit Mitte Februar ist das Mietshaus eingerüstet, am Samstag vor einer Woche begannen Abbrucharbeiten an ehemaligen Lagerhallen im Hinterhof, im Treppenhaus fehlen inzwischen die Fenster.
Alle Macht den Wohnungs- und Hauseigentümern? In der F. A. Z. vom 11. Febr. 2105, S. 31 (Druckausgabe) lesen wir - hier wohl aus Eigentümersicht (die "Gegenseite" solle auch zu Wort kommen):
...Rohleder wird schnell grundsätzlich. Wenn es Menschen wie ihn nicht gäge, verfielen die Häuser wie damals in der DDR.  "Wir machen nichts Böses", sagt er. Die Mieter seien Querulanten. "Die machen uns nur Probleme" und sich auf Kosten anderer ein schönes Leben.
Mieter, die einem Finanzspekulanten zu wiederstehen versuchen, werden zu "Querulanten" abgewertet. Menschen, die im Wege stehen, werden durch solche Abwertungen entrechtet. Bei solchen "Querulanten", ist da nicht vielleicht Selbstjustiz gefordert - mag man da sich als Kapitaleigner rechtswidrig fragen? "Auf Kosten anderer" ist "Sozialschmarotzerdenke". Ob hier ein Freudscher Fehler vorliegt?  Was ist mit der Profitmaximierung des Kapitals? ... Wo kommt das Geld her, von anderen.  Man kennt den Ausdruck »Ausbeutung.«

Weiterhin heißt es, gleicher Artikel:
Der Eigentümer sagt, er habe schon viel investiert. "Das geht in die Millionen". Auf ein Angebot der Mieter warte er bis heute. Die seien arbeitslos, privatinsolvent und ohnehin nicht zum Kauf in der Lage. "Woher sollen die das Geld nehmen?" Für drei Millionen würde er verkaufen.
Ganz klar. Es geht nicht um die Menschen - sondern um den Schnitt, den Profit. Wer die Kaufsumme nicht aufbringen kann, ist eben ein Mensch zweiter Klasse und wird nebenbei noch als arbeitslos oder privat-insolvent, aus meiner Sicht elegant-diffamierend klassifiziert. Der F.-A.-Z.-Interviewpartner bringt direkt anschließend seinen absoluten Durchsetzungswillen auf den Punkt:
"Was glauben Sie, wer am längeren Hebel sitzt?", fragt Rohleder und gibt selbst die Antwort: "Wer die Musik bezahlt, der sagt, wer sie spielt, wo sie spielt und wie lange sie spielt."
Bei solchen Zeilen fragt man sich, wo die Grenzen des "längeren Hebels" sind. Es geht hier anscheinend nur um die absolute Finanzmacht. Von Gesetzen oder sozialem Frieden lese ich jedenfalls nichts. Das läßt Schlimmstes befürchten (vgl. die oben aufgeführten fr-Artikel).

Millieuschutz-Satzungen

In Frankfurter werden ab nächstes Jahr neue Millieuschutz-Satzungen rechtskräftig: Manch Mieter erhofft sich hier eine Schutzwirkung. Letztere wird durch ein Schlußstatement im F.-A.-Z.-Artikel stark relativiert. Die Leiterin der Bauaufsicht, Frau Simone Zapke, meinte nämlich, dass sie sich nicht sicher ist, ob der Millieuschutz im Falle der Wingertstr. überhaupt gewirkt hätte. Die bei Umbauten erforderliche Mindestgröße für Wohnungen beträgt in Frankfurt 130 qm pro Wohnung?!

Mein Fazit: Die Bewohner verlangen von der Stadt Schutz. Diese wird ihnen der neoliberale Magistrat nicht geben. Worthülsen sind keine Zusagen. Millieuschutz ab 130 qm pro Wohnung ist für mich ein schlechter, übler Scherz.

Was bleibt, ist Solidarität als politisches Druckmittel. Das heißt gemeinsames, solidarisch-ziviles Ungehorsam. Der Widerstand der Mieter könnte sich im Laufe der Zeit auszehren. Damit die Bewohner der Wingertstr. erfolgreich sind, muß sich aber die Kapitalseite auszehren. Sprüche wie der mit dem längeren Hebel dürfen nicht mehr vorkommen. Der Widerstand muß das Vorhaben der Spekulanten so verteuern, dass die Forderungen der Mieter zu einem lukrativen Angebot werden angesichts der platzenden Spekulationsträume auf immensen Profit.

Solidarität ist keine Einbahnstraße

Den Bewohnern möchte ich ins Stammbuch schreiben: Das, was die Bewohner erlebt haben und noch erleben, ist nur der normale Gebrauch von Kapital - Der sogenannte Mißbrauch des Kapitals ist vielmehr nur der Normalfall, die Normalität eben. Viele Menschen werden ausgebeutet und ausgegrenzt. Die Bewohner der Wingertstr. 21 erleben das zur Zeit nur in besonders starker Intensität: Gegenseitige Achtung und Solidarität sind nötiger denn je!

Die Ausgrenzung in der Wingertstr. geht über die unbezahlbaren Wohnungen.  Man kann weder den Miet- noch den Kaufpreis für eine lusxussanierte Wohnung im Haus aufbringen.  Nachbarschaftliche Wohnungen (auch städtische) sind im Mietpreis zu hoch, bleibt das Ausweichen in entfernte, abgelegenere Stadtteile. Warum greift der Widerstand eigentlich nicht früher? Ist das persönliche Erleben, die eigene Betroffenheit, der einzige Grund, es mit Hilfe solidarischer Menschen zu versuchen? Diese Frage läßt mich mißtrauisch werden: Wo fängt hier das Ausnutzen an?

Die Frage des Ausnutzens bedarf einer kleinen Erläuterung. Ich meine, einmal positiv unterstellt, die überhohen Mitpreise wären abgewendet, würden sich Leben und Verhalten der Bewohner nach dem Erfolg wieder in gewohnte Bahnen bewegen? Nehmen sie den geregelten, mehr oder weniger nichtsolidarischen Tagesablauf wieder auf? ... Natürlich ist so ein Verhalten legitim - wenn man weiterhin in gesellschaftlich-geregelten kapitalistischen Bahnen denkt und handelt. Legitim wäre für mich dann aber auch der Vorwurf des Ausnutzens; schließlich gehört zum Solidarität einfordern eben auch das eigene solidarische Handeln (danach)!

Ein veranschaulichendes Beispiel: Solidarische Erwerbslose dürften  sich jedenfalls dann ausgenutzt fühlen, sollten sie Geldverdienende wie in der Wingertstr. 21 solidarisch unterstützen, die Schwierigkeiten mit neuen luxussanierenden Hausbesitzern haben, - um dann  nach der erfolgreichen, solidarisch unterstützten Gegenwehr den Geldverdienenden aber ansonsten schnuppe zu bleiben (kleine Pikanterie am Rande: Ein Bewohner arbeitet bei der Bundesagentur für Arbeit).

Auch die sogenannte Gruppe der Langzeiterwerbslosen braucht solidarische Unterstützung, einmal durch die Erwerbslosen selbst, aber dann auch durch andere Gruppen - die vielleicht schon ein klein wenig Solidarität erfahren haben. Genauso wie die Bewohner von Wingertstr. 21 sind  Hartz-IV-Bezieher Repression und Schikane ausgesetzt, werden diffamiert und stigmatisiert. In den obigen Teilzitaten kann man klar ablesen, wie Rohleder in die Giftkiste der Diffamierung greift.

Solidarität kann meines Erachtens nur dauerhaft wirksam sein - kein Strohfeuer -, wenn sie sich fortpflanzt/fortsetzt. Die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse müssen weiter "vererbt" und weitergetragen werden. Ansonsten ist politisch nichts gewonnen.

 Zu Ulli Nissen

Als MdB (für die SPD im Deutschen Bundestags) kommt Ulli Nissen zur Mahnwache und gibt sich solidarisch. Ulli sollte sich hierbei die Frage stellen, ob sie in der richtigen Partei ist: ob sie in der richtigen Partei ist: Der Kapitalismus und mit ihm die Gentrifizierungsseuche wurden richtiggehend befeuert durch die verschiedenen Finanzmarktförderungsgesetze der mittlerweile zu Recht "verschiedenen" rot-grünen Bundesregierung. Federführend war damals Finanzminister Hans Eichel (auch SPD) unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (auch SPD). Die Bewohner des Gebäudes in der Wingertstr. 21 sollten wissen, die Partei Ulli Nissens, die SPD,  ist in einem erheblichem Umfang politisch (mit)verantwortlich für das, was in der Wingertstr. passiert. Ulli muß hier einen Teil des Scherbenhaufens zusammen kehren, den ihre Partei mit angerichtet hat.

Ulli empfehle ich meinen für SPD-Parteimitglieder sehr erbauenden Blogartikel "Wann jagen wir sie endlich in die Wüste?" zum Thema Finanzmarktförderung als geistige Auffrischung.

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