Sonntag, 5. Oktober 2014

Wer keine Arbeit hat, wird ausgegrenzt!

Hauptjobcenter in Frankfurt am Main vorübergehend besetzt. Links: Transparent "Kein Sonderrecht im Jobcenter"; rechts: Schlange von Leistungsberechtigten...
Nachfolgend das Interview, das Gitta Düperthal für die junge Welt mit mir führte (Interview auf der Webseite der jungen Welt). Das Interview wurde am Donnerstag, 2. Okt 2014, aufgenommen und erschien in der junge Welt in der Ausgabe Nr. 230 vom 4./5. Okt. 2014, S. 2. Vielen Dank an die junge Welt für die Publikation und die urheberrechtliche Erlaubnis von Gitta, das Interview hier wiedergeben zu dürfen:

Aktionstag gegen Hartz IV


»Wer keine Arbeit hat, wird ausgegrenzt!«


Das regionale Bündnis »Auf Recht bestehen« im Rhein-Main-Gebiet hat in Frankfurt am Main das Hauptjobcenter besetzt. Gespräch mit Bernhard Schülke 

Interview: Gitta Düperthal

Ein Bündnis von Erwerbsloseninitiativen, der Partei Die Linke und der Piratenpartei im Rhein-Main-Gebiet hat den bundesweiten Aktionstag am Donnerstag »Auf Recht bestehen« genutzt und ein Jobcenter in Frankfurt am Main besetzt. Was war los?

Auch wenn uns das Sicherheitspersonal leider schnell wieder herausgedrängt hat, war es ein wichtiges Signal für die Erwerbslosenbewegung: Wir haben es mit etwa 40 Leuten geschafft, das Hauptjobcenter in Frankfurt am Main zu besetzen. Wir hatten die Geschäftsleitung per Megaphon aufgefordert, unsere »Charta der Selbstverständlichkeiten« zu unterzeichnen. Selbstverständlich für jedes Jobcenter sollte sein: ein Klima des Willkommens, ein freundlicher Umgangston und Hilfsbereitschaft nach dem Motto »Hartz IV und Sozialhilfe ist Ihr gutes Recht«. Weiterhin hatten wir die Leitung aufgefordert, eine Mahnwache mit uns gemeinsam abzuhalten, und eine Schweigeminute für die vielen Hartz-IV-Opfer einzulegen. Wegen Kürzungen des sowieso zu knapp bemessenen Existenzminimums sind Menschen wohnungslos geworden; einige aus Kummer über Demütigungen erkrankt oder gar in den Suizid getrieben worden. Aufgabe des Jobcenters sollte es sein, qualifizierte Jobs zu vermitteln, von denen Beschäftigte leben können. Was sie tatsächlich tun, haben wir auf einem Flugblatt publiziert, unter Verwendung des Emblems der Arbeitsagentur: »Wir vermitteln Angst«.

Wie hat die Geschäftsleitung des Jobcenters auf Ihre Forderungen reagiert?

Sie hat sich verbarrikadiert und die Polizei gerufen. Wir haben daraufhin eine Mahnwache angemeldet. Unser Anliegen war, mit der Geschäftsleitung zu diskutieren. Da dies nicht möglich war, haben wir das Jobcenter freiwillig verlassen – nachdem wir die Gedenkminute für Hartz-IV-Opfer abgehalten hatten. Es war ein gelungener Überraschungscoup.

Vor dem Jobcenter West hat eine Erwerbsloseninitiative gleichzeitig eine Aktion gegen Hartz-IV-Schikanen abgehalten. Sie demonstrierten dagegen, dass Menschen gezwungen werden, jeden Job anzunehmen, seien Bezahlung und Arbeitsbedingungen noch so schlecht. Es darf nicht sein, dass viele entnervt aufgeben und Leiharbeit und Niedriglohn hinnehmen.

Wie kommt es, dass nach langer Zeit des Erduldens Erwerbslose nun auf die Barrikaden gehen?

Wir finden es eine Frechheit, dass Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) den bundesweiten Erwerbslosenverbänden, die um ein Gespräch angefragt hatten, eine Abfuhr erteilt hat. Sie wollten über die geplanten sogenannten Rechtsvereinfachungen im Hartz-IV-System sprechen. Aber, jeder Kontakt zu Erwerbslosen wird verweigert.

Wer kein Geld und keine Arbeit hat, wird ausgegrenzt und Sondergesetzen unterworfen. Gegenüber Migranten spielen Jobcenter-Mitarbeiter ihre Macht doppelt diskriminierend aus. All das werden wir nicht akzeptieren.

Woran liegt es, dass Gewerkschaften so wenig aktiv am Protest teilnehmen?

Wir müssen daran arbeiten, dass sie dieses Problem wichtiger nehmen. Immerhin war der Erwerbslosenausschuss von ver.di mit einem Beschwerdestand vor dem Jobcenter im Stadtteil Höchst. Leute der Metaller-Arbeitslosen-Initiative (MAI) Frankfurt am Main haben bei unserer Besetzung mitgemacht.

Auch für uns selber heißt es, nicht aufzugeben. Vor dem Offenbacher Jobcenter stehen bereits jeden Montag Leute der dortigen Erwerbsloseninitiative. Viele sind wütend, aber mittlerweile durch ständige Demütigungen so kaputt, dass sie es nicht mehr schaffen, dem Ausdruck zu geben. Wir wollen dazu ermutigen, es trotzdem zu tun.

Also war es nicht nur ein kurzes Aufbegehren?

Auf keinen Fall. Wir müssen jetzt verstärkt auf die Straße gehen. Hauptproblem sind dabei gar nicht die jetzt geplanten Veränderungen im SGB II – wobei noch unklar ist, was genau auf uns zukommen wird. Das ganze Hartz-IV-System zementiert Armut und muss endlich gestoppt werden. Dafür bedarf es weiterer Aktivitäten von Beschäftigten und Erwerbslosen, um die Grundlage für einen Politikwechsel zu schaffen. Denn viele der gewerkschaftlich erkämpften Errungenschaften sind uns genommen worden: Als zumutbar gelten nun Ein- und Null-Euro-Jobs! 


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