Samstag, 8. Februar 2014

Offener Brief: Warum Jan Freitag der Hamburger Morgenpost den Rücken kehrt...

Offener Brief

"Bitte kehren Sie um, aber tun Sie es ohne mich ..."


Sehr geehrter Herr Niggemeier, lieber Kollege, werter Auftraggeber,

ich schreibe Ihnen als ehemaliger Praktikant, zwischenzeitlicher Pauschalist und aktuell freier Autor der Hamburger Morgenpost. Zurzeit arbeite ich zwar nur sporadisch für Ihre Zeitung, im Schnitt um die zehnmal pro Jahr, tue es im Verlauf meiner journalistischen Laufbahn aber doch stetig und wahrnehmbar. Jetzt aber muss ich diese Zusammenarbeit beenden, und dabei ist es mit einer simplen Kündigung nicht getan; es bedarf eines offenen Briefes, der zunächst Ihnen, nach Abwarten einer Antwort aber auch Pressestellen, Berufsverbänden und Medienredaktionen zugeht.

Die Hamburger Morgenpost hat mich als Leser ebenso wie als Schreiber sozialisiert, seit ich Zeitungen lese. Schon im Elternhaus gehörte sie zur Standardlektüre, auch nach dem Auszug, während des Studiums, an anderen Wohnorten bin ich ihr treu geblieben und nach Beginn des Online-Zeitalters auf Reisen bis hin nach Kuba. In dieser Zeit habe ich sie stets gesucht, oft verflucht, aber nie ganz verlassen. Doch jetzt ist diese Zeitung nicht mehr meine Zeitung, weil sie keine Zeitung mehr ist, sondern ein populistisches Kampfblatt. Das macht mich traurig, es macht mich aber vor allem wütend.

Als diverse soziale Initiativen für den 21. Dezember 2013 zu einer Demonstration gegen die örtliche Flüchtlings-, Sozial- und Stadtplanungspolitik am Beispiel von Lampedusa, den Esso-Häusern oder der Roten Flora aufgerufen hatten, hat die Mopo, wie auch ich Ihr Blatt bislang fast liebevoll genannt habe, von Beginn an sämtliche Prinzipien journalistischer Berichterstattung ignoriert, wenn nicht verraten und somit eine Form des Kampagnenjournalismus formuliert, der selbst auf dem Boulevard beispiellos ist.

Bereits im Vorfeld wurde diese Demonstration nicht nur kompromisslos kriminalisiert; unter Ausmalung unausweichlicher Gefahren für Leib und Leben rieten diverse Artikel bis hin zur Titelgeschichte förmlich von der Wahrnehmung dieses demokratischen Grundrechts ab. Als sie dann wie von der Morgenpost insinuiert, man ist geneigt zu vermuten: wie gewünscht eskalierte, hat Ihre Zeitung die Einseitigkeit in einer Weise verschärft, die jedem Ethos unseres gemeinsamen Berufes Hohn spricht.

Ausnahmslos wurde dabei die Sichtweise von Polizei und Senat verbreitet. Zahllose Artikel zum Thema suchten die Alleinschuld jeglicher Gewalt bei den Demonstrierenden, die Ihrer Diktion gemäß durchweg "Chaoten", "Randalierer" oder "Autonome" waren. Verletzte, Opfer, Rechtschaffenheit gab es aus Redaktionsperspektive über Tage hinweg einzig auf Seiten der Ordnungskräfte, die sich demgemäß keinerlei Verfehlungen schuldig gemacht hatten. Quellen dieser Inhalte waren bis auf die persönliche Wahrnehmung Ihrer Reporterinnen und Reporter vornehmlich behördliche und SPD-Verlautbarungen. Als andere Medien einen Polizeisprecher mit dem Eingeständnis, mehrere Falschmeldungen bei einem bislang unbelegten Angriff angeblicher Ultras des FC St. Pauli auf eine Polizeiwache – den die Morgenpost nie infrage gestellt hat – zitierten, ging die Morgenpost dieser Frage nicht nach. Stattdessen durfte die Mutter zweier Kinder auf dem Deckblatt unhinterfragt einen Mordversuch seitens der Demonstrierenden formulieren, wozu Sie das ehernste Prinzip des Journalismus gebeugt haben: beide Seiten zu hören. Die ersten ansatzweise einsatzkritischen Zeilen zu den Vorkommnissen erschienen nach Tagen im Grundton des Zweifels an der Kritik und denen, die sie äußern.

Die Morgenpost hat also keinen Journalismus betrieben, sondern Regierungsverlautbarung. Sie hat nicht berichtet, informiert und analysiert, sondern gemutmaßt, polemisiert und, wäre dieser Begriff pressehistorisch nicht so verunreinigt, müsste man sagen: gehetzt. In einer unseligen Vermengung von Meinung und Nachricht wurde die Suche nach der Wahrheit bis hin zur bewussten Fehlinformation missachtet und somit alles, was mir als Journalist lieb und teuer ist – Handwerk, Moral, Ausgewogenheit und Objektivität – so vorsätzlich mit Füßen getreten, dass ich mich nicht nur schäme, je für die Morgenpost tätig gewesen zu sein; nein – ich schäme mich, den gleichen Beruf zu haben wie jene Kolleginnen und Kollegen, die ihr journalistisches Gewissen für die nächstbeste Kampagne opfern. In vergleichbarer Weise verfährt Ihr Blatt regelmäßig – wenn es um "Radrüpel" geht, Fußballfans oder die Drogenpolitik. Nie zuvor jedoch hat die Morgenpost mutwilliger Politik statt Journalismus betrieben als rund um den 21. Dezember.

Trotz der wirtschaftlichen Situation eines Freiberuflers wie mir, der in der anhaltenden Zeitungskrise jeden Auftraggeber bitter nötig hat, werde ich daher nie wieder für die Morgenpost schreiben, schreiben können. Das bin ich mir, meiner Würde, diesem wundervollen Beruf schuldig, das bin ich allerdings auch jenen Menschen schuldig, denen als Autor Ihrer Zeitung in die Augen zu blicken zusehends schmerzhaft wird. Und das sind eine Menge, mehr als Ihnen lieb sein dürfte, ja selbst in Ihrer eigenen Redaktion schämen sich nicht wenige für das, wofür ihr Arbeitgeber steht, wie mir persönlich versichert wurde. Ich wünsche Ihnen also ohne mein Zutun, sehr geehrter Herr Niggemeier, lieber Kollege und werter Auftraggeber, dass Sie und Ihr Team vorurteilsfrei zurückblicken, kurz innehalten und in sich gehen, ob das der Beruf ist, den Sie erlernt haben, den Sie vermutlich so lieben wie ich, den auch Sie einmal im Gefühl gesellschaftlicher Verantwortung ausüben wollten.

Ihre Zeitung war mal ein liberales Qualitätsblatt, es hat große Zeiten erlebt und schwere, große Journalisten herausgebracht und gewöhnliche. Mit dem derzeitigen Kurs setzen Sie dies alles nicht bloß aufs Spiel – Sie negieren es geradezu, verleumden seine Vergangenheit und damit sich selbst. Mit Ihrem Kurs schädigen Sie somit die gesamte Branche und machen sich mitschuldig am Niedergang des gedruckten Wortes.

Bitte kehren Sie um, lieber Herr Niggemeier, aber tun Sie es ohne mich. Ich freue mich auf eine Antwort, aber sie wird an meinem Entschluss nichts ändern. Das mag Ihnen gleichgültig sein, für mich ist es substanziell, um diesem Beruf weiterhin nachgehen zu können.

Mit hoffnungsvollen Grüßen,

Jan Freitag

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Quelle mit Korrespondenz zwischen Freitag und Niggemair:
http://www.journalist.de/ratgeber/handwerk-beruf/menschen-und-meinungen/offener-brief-an-die-mopo-bitte-kehren-sie-um-aber-tun-sie-es-ohne-mich.html

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