Dienstag, 9. Juli 2013

Übt Widerstand!

von Gerd Heming


In diesen Tagen erhalten mehr als zwanzig Millionen Rentnerinnen und Rentner der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) in Deutschland ihren Rentenanpassungsbescheid. Damit erhalten die Rentner im Westen ab dem 01. Juli 2013 eine Erhöhung von monatlich 0,25 Prozent und im Osten von monatlich 3,29 Prozent. Ein Rentner bzw. eine Rentnerin im Westen mit einer Rente von 500,00 Euro erhält folglich eine Rentenerhöhung pro Monat in Höhe von 1,25 Euro oder pro Tag von Euro 0,041. Davon kann er oder sie sich gerade einmal ein Sechstel Brötchen zum Frühstück kaufen.

Eine Rentenerhöhung dieser Höhe dürfte von der großen Mehrzahl der Rentnerinnen und Rentner der GRV als zynisch, verächtlich und als Missachtung ihrer Würde empfunden werden. Und das aus verschiedenen Gründen.

Zum Ersten gleicht die Rentenerhöhung die Preiserhöhungen der Grundlebensmittel des vergangenen Jahres nicht annähernd aus. Die liegt nämlich auf den Lebensunterhalt bezogen bei 5,7 Prozent, wenn man die Erhöhung der Nahrungsmittelpreise, die Erhöhung für Gas, die Erhöhung für Wasser und die Erhöhung der Strompreise zur Berechnungsgrundlage nimmt. Das heißt mit anderen Worten: Die Renten der RentnerInnen im Westen verlieren mehr als 5,25 Prozent an Kaufkraft. In den vergangenen zwanzig Jahre verlor der Wert der Renten 42 Prozent. D.h., von 1000,00 Euro ehemaliger Kaufkraft sind heute nur mehr 580,00 geblieben. Ein Sozialabbau somit, der den Artikel 14 und den Artikel 20 des Grundgesetzes außer Kraft setzt und die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat und als Sozialstaat infrage stellt. Neoliberales Denken ist der Grund dafür. Denn diese Denkweise war darauf gerichtet, das soziale Umlageverfahren in Misskredit zu bringen, um möglichst viele Versicherte in die Fänge der privaten, kapitalgedeckten und teueren Versicherungen zu treiben.

Zum Zweiten wissen die Rentnerinnen und Rentner der GRV, dass die Rentenbeiträge, die sie für ihren Lebensabend im Generationsausgleich eingezahlt haben, durch gesetzgeberische Manipulationen zu einem großen Teil für Aufgaben zweckentfremdet worden sind, die von allen BürgerInnen hätten getragen werden müssen, also auch von den Beamten, Selbständigen, Richtern und Politikern.

Zum Dritten wissen sie, dass bereits während der ersten Wirtschaftskrise der Jahre 1966 bis 1968 runde 500 Milliarden Mark (250 Milliarden Euro) aus ihrer damals prallgefüllten Rentenkasse entwendet und zur Wirtschaftsförderung eingesetzt wurden. Sie wissen, dass sie mit ihren gesetzlichen Beiträgen im Generationenverbund die Krise der 70iger Jahre finanzierten und dass ihre Kasse ausgeplündert wurde, um die enormen Lasten der Frühverrentungscampagne (runde 200 Milliarden Euro) und der Wiedervereinigung Deutschlands (bisher rund 600 Milliarden Euro) auszugleichen.

Sie wissen ferner, dass sie mit ihren Beiträgen die Kosten für die Kriegsfolgelasten, für Kindererziehungszeiten usw. seit über 50 Jahren mitfinanzieren. Aufgaben, die von der gesamten Bevölkerung zu tragen gewesen wären, auch von den Beamten, Ärzten, Richtern, Freiberuflern und all jenen, die Einkommen jenseits der Beitragsbemessungsgrenze und der Pflichtversicherungsgrenze beziehen.

Alles in allem dürfte der Staat bei den Beitragszahlern der GRV mit 2 Billionen Euro (2.000.000.000.000,00 Euro) in schuldnerischer Verpflichtung stehen.

In der Rentendokumentation des ADG ivon steht „Wer weiß heute noch, dass der Gesetzgeber 1955 im Zusammenhang mit der Umstellung der Rentenversicherung vom Kapitaldeckungs- zum Umlageverfahren die Rückzahlung seiner Schulden, die er bei den Rentenversicherungsträgern hatte, mit der Begründung verweigerte, dass der Bund ja sowieso Steuermittel zur Verfügung stellt, wenn die Beiträge zur Finanzierung der Renten nicht ausreichen sollten. Das waren damals immerhin etwa 14,5 Mrd. Mark, bei einem Haushaltsvolumen 1956 von etwa 30 Mrd. Mark“ (Quellen: Bundestagsdrucksache 1659, S. 67; Die Angestellten-Versicherung 1956, Heft 1,S. 1).

Zieht man all das in Rechnung, dann wäre eine Rentenerhöhung von 50 Prozent der einzig richtige Weg. Um Armutsrenten zu vermeiden, muss daher eine dynamisierte Mindestrente in Höhe von Euro 1.100,00 pro RentnerIn garantiert werden.

Stattdessen erleben die Rentnerinnen und Rentner in diesen Zeiten der Krise, dass unfähigen und verantwortungslosen Bankern viele hundert Milliarden Euro ohne echten Diskurs auf die Konten geschoben werden; sie erleben, wie sich die Korruption ausbreitet und Gier und Ichsucht zum Kult erhoben werden.

Hinzu kommt, dass sie von den Medien verhöhnt werden, wenn diese beinahe unisono von „einem satten Plus in den Taschen“ der Rentnerinnen und Rentner schreiben und berichten. Falsche politische Entscheidungen sind nicht schön zu reden. Im übrigen stört der gönnerhafte Ton, der in den medialen Meldungen nahezu unumwunden und hintergründig widerhallt. Er wird als zynisch empfunden.

Denn die Rentnerinnen und Rentner sind keine Almosenempfänger, sie haben sich ihre Renten-Ansprüche durch die Arbeit vieler Jahre hart erworben. Sie haben im Rechtstaat Deutschland ein gesetzliches Recht auf ihre Rente, denn diese Rente ist nichts weniger, als ein auf viele Lebensjahre gründender Lohn, ein die Lebensqualität sichernder Ausgleich, für die Tage des wohlverdienten Ruhestandes. Nicht nur in eigenem Interesse, sondern auch im Interesse ihrer Kinder und Kindeskinder, sind die heutigen RentnerInnen verpflichtet, für eine Rente zu kämpfen, die ihren Lebensstandard sichert. „Was ihr heute für euch tut, das tut ihr für eure Söhne und Töchter und für eure Enkelkinder!“

Ferner ist die Frage, ob die Höhe der jeweiligen individuellen Renten den Grundsätzen unserer verfassungsmäßigen Ordnung entspricht, eine noch ungeklärte Frage.

Um diese Frage – und einige andere – zu klären, empfiehlt der Bund der Pflegeversicherten Widerstand. Er empfiehlt, gegen jeden Rentenbescheid, der den Versicherten durch die Deutsche Rentenversicherung Bund oder andere auf postalischem Wege zugesandt wird, Widerspruch einzulegen und - falls der Widerspruch kein befriedigendes Ergebnis zeitigt - gegen den Rententräger Klage bei den jeweils zuständigen Sozialgerichten zu erheben.

Der Widerspruch (und eventuell später die Klage von den Sozialgerichten) soll u.a. folgende fundamentale Fragen klären:

  • Ob die Berechnung der Regelsätze der Rente der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) den Bestimmungen des Grundgesetzes entspricht,

  • ob die Zweiteilung der Absicherung der Grundrisiken in „private“ und „gesetzliche“ Absicherungen der Verhältnismäßigkeit und dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung gemäß ist,
     
  • ob die willkürlichen Grenzen, wie sie durch die Beitragsbemessungsgrenze und durch die Pflichtversicherungsgrenze gezogen sind, mit dem allgemeinen Grundsätzen unserer Verfassung vereinbar sind. Da hier die Beteiligung anderer Einkommensarten (Gewinne, Aktiengewinne, Börsengewinne, Miete, Pachten usw.) an der allgemeinen Absicherung der gesellschaftlichen Grundrisiken willkürlichen ausgegrenzt wird.
     
  • Ob der Einsatz von Steuergeldern zur privaten Absicherung der Beamten verfassungskonform ist,
     
  • ob die Zweckentfremdung von Beiträgen der Gesetzlichen Rentenversicherung nicht einen strafrechtlich relevanten Tatbestand darstellt.
     
  • Wieweit die Grundsätze des Grundgesetzes, wie sie in Artikel 1, in Artikel 14, in Artikel 20 und in Artikel 28 formuliert sind, durch gesetzgeberische Manipulationen innerhalb der GRV verletzt sind.
     
  • Wieweit die unklare Trennung von Beiträgen und Steuern, von Versicherungsaufgaben und Staatsaufgaben, der gesellschaftlichen Ordnung entgegensteht

Gerd Heming (Vors.) Münster, Juli 2013

Bundesgeschäftsstelle Bund der Pflegeversicherten
Von Schonebeck Ring 90
48161 Münster
Fon: 02533-3359
Fax: 02533-3362 n.Voranmeld.
E-Mail: Gerd.Heming@t-online.de

Ein Formular für Widerspruch / Klage findet ihr auf der Webseite des Bunde der Pflegeversicherten

Fotoquelle: Wikipedia
Source: It’s all about love
Author: Candida Performa
This file is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

(Erstveröffentlicht in Demokratisch Links (kritische Internetzeitung) am 9. Juli 2013)

1 Kommentar:

  1. Na ja, eine Klage ist kein Widerstand. Da steckt noch ne Menge obrigkeitsstaatliches Denken drinne. Widerstand wäre ziviles Ungehorsam (und meinetwegen auch noch zusätzlich der Klageweg).

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